Als Dietikon noch einen Flugplatz hatte

Von 1917 bis 1969 existierte im Westen von Dietikon ein Flugplatz. Auf ihm entdeckte der heute 87-jährige Dietiker Hans Wiederkehr in den 1940er-Jahren seine Liebe zur Fliegerei und startete später eine Karriere als Militär- und Swissair-Pilot.

Es war ein Herbsttag im Jahr 1943. Hans Wiederkehr und sein älterer Bruder pflügten im Gebiet Schoppen einen Acker, der ihren Eltern gehörte. Da flog ein gelber Bücker-Jungmann-Doppeldecker über sie hinweg und setzte zur Landung auf dem Flugfeld Dietikon/Spreitenbach an. Und noch ein zweiter Doppeldecker kam geflogen, und ein dritter und ein vierter. Die beiden Buben hielten es nicht mehr aus, liessen Pferde, Pflug und Wagen stehen und rannten via Maienweg zum Flugfeld. Weil die beiden dann zur Mittagszeit nicht zu Hause auftauchten, begann sich die Mutter Sorgen zu machen. Schliesslich alarmierte sie den Vater, der zufällig im nahegelegenen Rudolfstetten im Aktivdienst war. Dieser radelte nach Dietikon und machte sich sofort auf die Suche der beiden verschollenen Knaben. Er fand aber nur die herrenlosen Pferde, die mit dem Leitseil am Pflug angebunden waren.

Stunden später kehrten Wiederkehr und sein Bruder unversehrt, aber hungrig zum Schoppenacker zurück, wo weder Pferde noch Pflug noch Wagen zu finden waren. Auf dem Heimweg an die Oberdorfstrasse erwartete die beiden alles andere als ein herzlicher Empfang. Sie waren aber hocherfreut und entlastet, als ihnen der Nachbar Chlosterpuur zurief: «Euer Vater hat die Pferde nach Hause geholt und ist schon wieder in Rudolfstetten im Militär.» Die Mutter war erleichtert, als die beiden Durchgebrannten zu Hause ankamen. Ihr erklärten sie: «Wir waren Flieger schauen.»

Ein Bauerssohn wird Pilot
Noch immer erinnert sich Wiederkehr an diesen Tag während des 2. Weltkriegs. «Da ging es mit der Fliegerei und mir los», sagt der heute 87-Jährige. Er absolvierte – erst 17 Jahre alt – den fliegerischen Vorunterricht und durchlief bald danach die Fliegerschulen A und B, wurde zuerst Militär- und dann Swissair-Pilot. Als Militärpilot und militärischer Fluglehrer im Überwachungsgeschwader flog Wiederkehr die Propellermaschinen Bücker-Jungmann und -Jungmeister, den Pilatus P2 und P3, die AT 16, die Morane, den Fieseler Storch und die Dornier DO 27 sowie die Düsenjets Vampire, Venom und Hunter. Als Swissair-Pilot steuerte er die Propellerflugzeuge DC 3 und CV 440 Metropolitan sowie die Düsenmaschinen DC 9, DC 8 und schliesslich die Boeing 747, den Jumbojet, durch die Lüfte.

1943 zählte Dietikon immerhin schon rund 6500 Einwohner, wie Wiederkehr weiss. Das Gemeindehaus befand sich im Gebäude, wo heute die Stadtbibliothek ihren Standort hat. Das Zentralschulhaus vis-à-vis an der Bremgartnerstrasse war damals neu. Die Bremgarten-Dietikon-Bahn verkehrte mit Güterwagen. Der 1. August wurde auf der Wiese hinter der reformierten Kirche gefeiert, wo auch ein kantonales Musikfest stattfand. Im Dorf standen noch etwa fünfzig Bauernhöfe. Die Maul- und Klauenseuche, die grassierte, war für viele Bauersleute ein Drama – auch für Wiederkehrs Eltern. Bei Dietikon gab es zudem für den kriegerischen Ernstfall eine Panzersperre, von der heute noch ein Bunker in einem Hinterhof des Gjuch-Quartiers und ein paar Mauerreste im Stadtzentrum übrig geblieben sind. Und es gab im Westen des Dorfes auf der Grenze zu Spreitenbach, dort wo sich heute der Rangierbahnhof Limmattal befindet, ein Flugfeld. Dieses wurde während des Krieges von der Schweizer Flugwaffe für Landeübungen benutzt, wie Wiederkehr erzählt. Das Bauernhaus an der Oberdorfstrasse, in dem er damals aufwuchs, gibt es nicht mehr. Heute steht ein Wohnblock dort.

Hans Wiederkehr, ehemaliger Militär- und Swissair-Pilot.

Flugfieber im Limmattal
Das Flugfeld durchlief eine wechselvolle Geschichte, wie im Dietiker Neujahrsblatt von 2003 nachzulesen ist. Anfang des vergangenen 20. Jahrhunderts eroberten Flugpioniere die Lüfte. Das Flugfieber brach auch in der Schweiz aus. Der Ruf nach Flugplätzen wurde laut. 1910 nahm die Schweizerische Flugplatz-Gesellschaft ihre Arbeit auf und suchte einen guten Standort für einen Flughafen. Zur gleichen Zeit entstand ein Initiativkomitee für ein Flugfeld Dietikon/Spreitenbach. Noch im selben Jahr beschäftige sich der Dietiker Gemeinderat mit dem Thema. Im Vordergrund stand ein Gebiet im Westen des Dorfes, das den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) gehörte. Dort wollte die Vorgängerin der SBB, die Nordostbahn, ursprünglich ihre Werkstätten errichten.
Das Areal hatte anfänglich gute Chancen, nationales Flugfeld zu werden. Es galt als gut geeignet und kostengünstig. Doch dann machte 1911 wider Erwarten Dübendorf das Rennen. Doch schon bald tat sich wieder eine Türe auf: 1913 begann die Suche nach einem Standort für einen Militärflugplatz. Aber auch diesmal platzte der Limmattaler Traum. Dübendorf erhielt erneut den Zuschlag.

1917 kamen die Flieger schliesslich aber doch noch nach Dietikon/Spreitenbach: Das Militärdepartement eröffnete überraschend einen Hilfsflugplatz mit einem Hangar. In der Folge fanden dort mehrere Fliegerschulen statt. Nach dem 1. Weltkrieg verlor das Flugfeld zunächst an Bedeutung. 1920 kamen dann aber ETH-Studenten, die die Akademische Gesellschaft für Flugwesen gegründet hatten, auf das Areal, um Aviatikstudien und eine Flugschule zu führen. Doch schon 1922 stellten die Studenten ihre fliegerischen Aktivitäten mangels Mitglieder wieder ein. Das Flugfeld wurde daraufhin eine ganze Weile nur noch landwirtschaftlich genutzt. Ab 1931 kam erneut das Militär und führte für ihre Fliegertruppen in Dietikon/Spreitenbach Wiederholungskurse durch.

Das Auf und Ab geht weiter
1933 kehrte auch die zivile Fliegerei auf das Flugfeld zurück: Die Segelfluggruppe Zürich schlug ihre Zelte im Limmattal auf. Acht Jahre später entstand dann die Modellfluggruppe Dietikon, die es heute noch gibt. Aber erneut schlief der Flugbetrieb ein. Auch während des 2. Weltkriegs wurde in Dietikon/Spreitenbach nur wenig geflogen, da der Treibstoff rationiert war.

Nach 1946 kam der nächste und letzte Aufschwung: Der Schweizer Aviatikpionier Alfred Comte liess sich mit einer Flugschule und drei Fluglehrern auf dem Areal nieder. Auch viele Deutsche lernten in der Folge dort fliegen, weil dies ihnen in ihrem Herkunftsland noch verboten war. Einer der berühmtesten Flugschüler war dabei wohl der Schauspieler Heinz Rühmann. 1951 absolvierte hier auch Wiederkehr auf einer Bücker-Jungmann seine ersten Flugstunden. 1969 war dann definitiv Schluss mit der Fliegerei im Limmattal. Das Flugfeld wurde geschlossen, weil die SBB das Areal für ihren Rangierbahnhof brauchten. Nur wenige Leute trauerten dem Flugplatz nach. Die meisten waren froh, dass sie neben dem Bahn- und Strassenlärm nicht auch noch Fluglärm zu erdulden hatten. Das Flugfieber im Limmattal war vorbei. 

Das Militär benutze das Flugfeld Dietikon/Spreitenbach als Hilfsflugplatz.

Text: Martin Gollmer, Fotos: Martin Gollmer, zVg