Der Bevölkerung den Puls fühlen

Mit einem eigens entwickelten Dialogprojekt versucht Dietikon zurzeit, die Bevölkerung besser und breiter in die Planung städtischer Räume einzubeziehen. Es zeigt sich, dass viel Aufwand betrieben werden muss, um dieses Ziel zu erreichen. Das innovative Projekt ist einzigartig in der Schweiz.

«Wir wollen in der Bevölkerung Interesse wecken für die Stadtentwicklung.» So umreisst Severin Lüthy, der neue Stadtplaner Dietikons, eines der Ziele des im vergangenen Februar/März gestarteten Projekts «Stadt­entwicklungsdialog». Bisher hätten Fragen der Stadtentwicklung nur eine kleine Gruppe beschäftigt, nämlich politisch Interessierte. Mit dem Stadtentwicklungsdialog sollen nun auch andere Bevölkerungsteile erreicht werden, etwa Junge, Familien oder Leute mit Migrationshintergrund.

«Das gelingt, aber es ist nicht einfach», bilanziert Lüthy zur Projekthalbzeit im Gespräch mit dem «Dietiker». Die Leute müssten beinahe von der Strasse geholt werden, wenn man von ihnen etwas erfahren wolle.

Entwicklungsängste abbauen

Hintergrund des Projekts ist, dass zwei Abstimmungen über die Limmattalbahn gezeigt hätten, dass Ängste in der Bevölkerung bezüglich der zukünftigen Stadtentwicklung vorhanden sind. «Diese Ängste wollen wir mit dem Stadtentwicklungsdialog abbauen», sagt Lüthy. Entwicklung geschehe sowieso, sie müsse aber in geordnete Bahnen gelenkt werden. Das Projekt soll dabei helfen, die Bedürfnisse der Bevölkerung bei der Planung besser und breiter zu berücksichtigen. Der Stadtentwicklungsdialog startete im vergangenen Februar/März mit Interviews von Bewohnern in den Quartieren Dietikons, die vom Büro Denkstatt in einem mobilen Studio geführt wurden. Das Büro ist auf Mitwirkungsprozesse spezialisiert und wurde von der Stadt eigens für das Projekt engagiert. Die mit einer Kamera festgehaltenen Interviews wurden dann zu einem rund dreiviertelstündigen Film zusammengeschnitten.

Film mit grosser Resonanz

Dieser Film mit dem Titel «Dietikon, was machst du?» gelangte im April zweimal zur öffentlichen Aufführung. Der Film stiess auf grosse Resonanz. «Wir hatten jedes Mal ein volles Haus», sagt Lüthy. 150 bis 200 Personen hätten an den beiden Aufführungen teilgenommen.

Die nachfolgenden Informationsveranstaltungen «Auf eine Wurst mit dem Stadtplanungsamt» zu verschiedenen Stadtentwicklungsthemen fanden dagegen laut Lüthy nur mässigen Zuspruch.

Werkzeugkasten für die Verwaltung

Anfang Juli fand dann unter dem Namen «Studio Dietikon» ein erster Workshop mit Interessierten statt. Zu diesem musste man sich anmelden. Rund 50 Personen nutzten die Gelegenheit, um sich einbringen zu können. In diesem Workshop ging es darum, Ideen und Kriterien zur Gestaltung von bestehenden und neuen Frei- und Grünräumen zu sammeln. Daraus erstellt das Stadtplanungsamt einen «Werkzeugkasten», aus dem sich die Verwaltung in Zukunft bei der Fort- und Neuentwicklung ebendieser Räume bedienen kann. Dieser Werkzeugkasten soll am zweiten Workshop am kommenden 21. September diskutiert werden.

Den vorläufigen Abschluss findet der Stadtentwicklungsdialog dann am 9. November mit einem Informationsfest. Dann sollen einer breiteren Öffentlichkeit Erkenntnisse aus dem Projekt vorgestellt und der endgültige Werkzeugkasten präsentiert werden. Zudem wollen die Projektverantwortlichen erläutern, wie es im Jahr 2020 weitergehen soll. «Ziel ist es, den Austausch mit der Bevölkerung zu institutionalisieren», sagt Lüthy. Dies könne aber wegen beschränkten Ressourcen in der Stadtverwaltung «nicht mit gleicher
Intensität wie 2019» geschehen.

Ausfluss des Regierungsprogramms

Im bisherigen Projektverlauf hat Lüthy festgestellt, dass es viel Aufwand braucht, um den Dialog mit den Stadtbewohnern aufrechtzuerhalten. Das Interesse für die Stadtentwicklung sei zwar da, die Bereitschaft, sich zu engagieren, aber beschränkt. Dies sei dabei kein spezifisches Problem in Dietikon, sondern Ausfluss der Individualisierung der Gesellschaft.

Lüthy bezeichnet den Stadtentwicklungsdialog als «sehr innovatives Projekt», das in der Schweiz vermutlich seinesgleichen sucht. «Dietikon hat damit Neuland betreten», sagt er stolz. Das Gespräch mit den Einwohnern ist eines von vier übergreifenden Themen im Regierungsprogramm 2018 bis 2020 des Stadtrats. Dort heisst es dazu: «Generell will der Stadtrat die Bevölkerung vermehrt in städtische Belange einbeziehen und ihre Meinung abholen.»

 

Text: Martin Gollmer, Fotos: Marina Lukac, Martin Gollmer