«Der Vorsprung Schlierens würde sich noch vergrössern!»

Zurzeit läuft die Unterschriftensammlung für die kantonale Volksinitiative gegen den Bau der zweiten Etappe der Limmattalbahn. Käme diese nicht bis nach Dietikon, bliebe das aber nicht ohne Folgen für den Bezirkshauptort. Dietikon würde als Wohn- und Arbeitsort gegenüber Schlieren weiter an Attraktivität verlieren, warnen die Befürworter der Bahn. Auch würde das Verkehrschaos in der Stadt weiter zunehmen.

Am 22. November 2015 haben die Stimmberechtigten des Kantons Zürich den Bau der Limmattalbahn mit 65% Ja-Stimmen gutgeheissen. Paradox: Im Limmattal, das von der Bahn hätte profitieren sollen, lehnte die Bevölkerung das Projekt ab. In Schlieren und Dietikon, zwei von der Bahn hauptbetroffenen Gemeinden, gab es Nein-Mehrheiten von 57 % und 64 %.

Das bewog ein Komitee, die kantonale Volksinitiative «Stoppt die Limmattalbahn – ab Schlieren» zu lancieren, um dem Zürcher Stimmvolk die Möglichkeit zu geben, «dem Wunsch der Limmattaler Bevölkerung Rechnung zu tragen und uns die Bahn nicht aufzuzwingen», wie Bernhard Schmidt, Präsident des Initiativkomitees, zum «dietiker» sagt. Seit dem 3. Februar 2017 werden nun für die Initiative Unterschriften gesammelt. Damit sie zustande kommt, müssen bis zum kommenden 3. August 6‘000 Zürcher Stimmberechtigte gültig unterschreiben.

Die Limmattalbahn führt über 13,4 Kilometer und mit 27 Haltestellen von Zürich-Altstetten nach Killwangen-Spreitenbach. Sie soll ab kommenden Herbst in zwei Etappen gebaut werden (vgl. Kasten). Gegen die Verwirklichung der zweiten Etappe ab Schlieren-Geissweid über Dietikon nach Killwangen-Spreitenbach richtet sich die Volksinitiative. Diese Etappe war im Abstimmungskampf im Jahr 2015 im Limmattal am heftigsten umstritten.

Verkehrsinfrastruktur der Zukunft

Seit dem Ja des Zürcher Volks sind nur noch die Gegner der zweiten Etappe der Limmattalbahn in der Öffentlichkeit präsent. Mit missionarischem Eifer führen sie eine ziemlich aggressive Kampagne gegen die Bahn. Die Befürworter haben das Pro-Komitee nach dem Sieg in der kantonalen Volksabstimmung aufgelöst und schweigen seither. Trotzdem gibt es sie noch, die Befürworter der Limmattalbahn. Der «dietiker» hat drei von ihnen gefunden und sie nach ihren Argumenten gefragt.

«Sollte die Volksinitiative für eine zweite Abstimmung zustande kommen, würden wir nochmals mit Herzblut für die Limmattalbahn kämpfen», sagt Markus Erni, Präsident des aufgelösten Pro-Komitees und SVP-Gemeinderat in Dietikon. Die Initiative findet er «eine Zwängerei». Aus seiner Sicht «wäre es eine verpasste Chance, wenn die Limmattalbahn in Schlieren enden würde. Lösungen, das Verkehrschaos in Dietikon zu beenden, wären dann für Jahrzehnte blockiert». Die jetzige Verkehrsinfrastruktur sei vor fünfzig, sechzig Jahren gebaut worden, sagt Erni. Jetzt gelte es, einen Schritt weiter zu gehen und die Verkehrsinfrastruktur der Zukunft zu erstellen. «Der steigende Wohlstand bringt mehr Mobilität. Wir brauchen deshalb Werkzeuge, um diese zu managen».

Erni glaubt auch, dass in der Stadt mit der Limmattalbahn eine Erneuerung stattfinden werde. «Wir haben verschiedene Problembereiche in Dietikon», sagt er. «Mit der Limmattalbahn werden die Anreize für Investoren grösser, sich in der Stadt zu engagieren».

Eine dringende Notwendigkeit

Ähnlich argumentiert Thomas Tiefenbacher. Die Limmattalbahn sei «eine dringende Notwendigkeit», sagt der Geschäftsführer der Schuhhaus Tiefenbacher AG mit Hauptsitz in Dietikon und rund dreissig Filialen in der Deutschschweiz. Tiefenbacher ist auch Vorstandsmitglied des Industrie- und Handelsvereins Dietikon, der die Limmattalbahn im Abstimmungskampf 2015 befürwortete. Tiefenbacher findet, dass die Verkehrs­infrastruktur im Limmattal verbessert werden müsse und dass die Limmattalbahn ein wichtiger Bestandteil davon sein werde. «Die Situation jetzt ist hoch unbefriedigend», sagt er. «Würde die Limmattalbahn nicht bis nach Dietikon kommen, würde sich das gegenwärtige Verkehrschaos noch akzentuieren.»

Mit der Linienführung in Dietikon via Bahnhof hat Tiefenbacher allerdings Mühe. «Gerade durch das Zentrum wäre schneller und eleganter», sagt er. Wichtig sei aber, dass auch mit der aktuellen Lösung das Zentrum Dietikons aufgewertet werde. Auch die Anbindung Dietikons an den Aargau bis Killwangen-Spreitenbach findet er interessant.

Für die Volksinitiative hat Tiefenbacher wenig Verständnis. «Wir haben abgestimmt. Das Ergebnis ist klar», sagt er und fügt an: «Man kann Mehrheitsentscheide nicht hinterfragen, bis eine Lösung da ist, die einem passt».

«Die Limmattalbahn wird für unser Leben im Bezirk Dietikon keinen Gewinn darstellen, sondern es nur verschlechtern» – Bernhard Schmidt

«Wohlstand bringt mehr Mobilität. Wir brauchen Werkzeuge, um diese zu-managen» – Markus Emi

«Ein-Nein-zur-zweiten-Etappe-der-Limmattalbahn-wäre-fatal-für-die-Stadt-Dietikon» – Manuel Peer

«Würde die Limmattalbahn nicht bis nach Dietikon kommen, würde sich das Verkehrschaos noch-akzentuieren» – Thomas Tiefenbacher

Die Streckenführung der Limmattalbahn in Dietikon.

Wichtiges Qualitätssicherungsinstrument

Auch Manuel Peer, SP-Gemeinderat in Dietikon und Befürworter der Limmattalbahn seit der ersten Stunde, findet die Volksinitiative «schräg». Mit ihr würden «die demokratischen Gepflogenheiten ausgereizt». Peer, der als ehemaliger Stadtingenieur von Schlieren bei der Planung der Limmattalbahn von Anfang an dabei war, findet es «unfair, dass die Volksinitiative nicht sofort nach der Volksabstimmung lanciert wurde, sondern erst mit dem Abstand von fast eineinhalb Jahren».

Peer glaubt, dass das Nein der Bevölkerung im Limmattal nicht den Schienen und dem Tram galt, das darauf fährt. Vielmehr mache vielen Einwohnern der Bauboom in der Region Angst. «Sie wollen ihn nicht und sehen die Limmattalbahn als Ausdruck und Verstärker dieser Entwicklung», sagt er. Doch der Widerstand sei zwecklos, weil die entsprechenden Entscheide schon gefallen seien. «Im kantonalen Raumplanungsgesetz sowie in den kantonalen und regionalen Richtplänen ist festgehalten, dass die Entwicklung rund um Zürich im Glatttal und im Limmattal stattfinden wird.»

Wenn der Bauboom nicht aufzuhalten sei, müsse aber geschaut werden, dass er in geordnete Bahnen gelenkt werde. «Die Limmattalbahn ist dabei eines der ganz wichtigen Qualitätssicherungsinstrumente», sagt Peer. «Entlang der Bahn wird mit flankierenden Massnahmen auch der Strassenraum neu gestaltet – nicht nur für Autos, sondern auch für Velos und Fussgänger.»

der Zeitplan für den Bau der Limmattalbahn.

Verkehrsknotenpunkt im Limmattal

Wenn die zweite Etappe der Limmattalbahn nicht gebaut wird, werde die Verkehrssituation Dietikon noch schlimmer als bisher, sagt Peer. «Die Alternative ist eine vierspurige Zürich-/Badenerstasse durch das Zentrum und trotzdem Stau.» In Dietikon würden zudem im Zusammenhang mit der Limmattalbahn Überlegungen zur Stadtentwicklung gemacht, die sonst nicht stattfänden. Ein Nein zur zweiten Etappe wäre deshalb «fatal für die Stadt», glaubt Peer. «Der Vorsprung von Schlieren, der jetzt schon da ist, würde sich noch vergrössern.»

Im Gegensatz zu Tiefenbacher ist Peer einverstanden mit der aktuell geplanten Linienführung der Limmattalbahn in Dietikon. «Die Stadt ist ein Verkehrshub im Limmattal», sagt er. Die S-Bahnen würden sich hier kreuzen, die BDWM habe hier ihre Endstation, und zahlreiche Buslinien würden von hier ausgehen. «Deshalb ist es richtig, alle Verkehrsmittel am Bahnhof zusammenzuführen», findet Peer. «Das Zentrum Dietikons bleibt gut bedient trotz des Umwegs über den Bahnhof.»

Für all diese Argumente hat Gegner Schmidt kein Gehör. «Die Limmattalbahn wird für unser Leben im Bezirk Dietikon keinen Gewinn darstellen, sondern es nur verschlechtern», sagt er. «Es ist absurd bei der heutigen Finanzlage des Kantons Zürich 382 Mio. Fr. für ein in der Region unerwünschtes Strassenbahnvorhaben auszugeben und gleichzeitig einschneidende Sparmassnahmen für den ganzen Kanton zu planen.» Möglich, dass die Stimmberechtigen des Kantons Zürich nochmals Gelegenheit erhalten, zu den Argumenten von Befürwortern und Gegnern der Bahn im Limmattal Stellung zu nehmen, sofern bis zum 3. August 6’000 gültige Unterschriften für die Volksinitiative «Stoppt die Limmattalbahn – ab Schlieren» zusammenkommen.

Text: Martin Gollmer, Fotos: zVg

 

Bau in zwei Etappen

Die Limmattalbahn wird in zwei Etappen gebaut: Die erste Etappe umfasst den Abschnitt vom Bahnhof Altstetten bis Schlieren Geissweid (ca. Höhe Bachstrasse). Der Bereich Bahnhof Altstetten bis Farbhof wird allerdings erst im Zuge der zweiten Etappe realisiert. Der Baustart der ersten Etappe ist für September 2017 geplant. Die erste Etappe wird 2019 als Verlängerung der Tramlinie 2 in Betrieb genommen.

Die zweite Etappe führt von Schlieren Geissweid via Dietikon bis Bahnhof Killwangen-Spreiten­bach. Die Vorbereitung und Planung der zweiten Bauetappe beginnt 2017. Voraussichtlich von Frühling / Sommer 2019 bis Ende 2022 wird die
2. Etappe inklusive des Depots gebaut. Ab 2022
kann die Limmattalbahn zwischen den Bahnhöfen Zürich-Altstetten und Kill­wangen-Spreitenbach fahren.

Am 22. November 2015 haben die Stimm­berechtigten des Kantons Zürich den Bau der
Limmattalbahn mit einer Ja-Mehrheit von
65% gutgeheissen. Am 10. April 2017 erteilte das Bundesamt für Verkehr die Baubewilligung (Plangenehmigungsverfügung). Seit dem 3. Februar 2017 läuft eine Unterschriftensammlung für die kantonale
Volksinitiative «Stoppt die Limmattalbahn – ab Schlieren». Sie will den Bau der zweiten Etappe
der Limmattalbahn im Nachhinein vereiteln.

Offizielle Website:
www.limmattalbahn.ch

Website der Gegner:
www.stopp-limmattalbahn.ch