Dietikon ist und bleibt katholisch

Nirgendwo sonst im Kanton Zürich leben so viele Katholiken wie in Dietikon. Dennoch verzeichnet die katholische Kirche jedes Jahr mehr Aus- wie Eintritte. Dabei bietet die Kirche weit mehr als man gemeinhin annimmt.

 

Zürich ist seit Zwingli bekanntlich reformiert – nicht aber Dietikon: Im Jahr 2018 lebten hier 8716 Katholiken – die Anzahl der evangelisch-reformierten Bewohner war mit 3752 deutlich geringer. Die Stadt ist damit die Gemeinde mit dem grössten Katholikenanteil des Kantons Zürich. Das liegt aber nicht nur an den Kroaten, Portugiesen und Italienern, die mit rund siebzig anderen Nationen zur festen katholischen Gemeinde in Dietikon gehören: «Dietikon war schon immer katholisch geprägt – dies dank dem früheren Kloster Wettingen», sagt Maria Spielmann, die seit 2018 als Präsidentin der Kirchgemeinde Dietikon amtet. Seit dem Jahr 1257 gehört das Kirchenpatronat dem Zisterzienserkloster Wettingen. Auch nach der Reformation blieb Dietikon als einzige Gemeinde im Kanton Zürich katholisch. Später kamen noch Winterthur und Rheinau dazu.

 

In Dietikon kommen heute zu den Eucharistiefeiern am Sonntag jeweils bis zu 300 Gläubige. Dazu kommen noch die beiden Gottesdienste der kroatischen und italienischen Gläubigen. «Allgemein wird die Kirche besonders an den Feiertagen gut besucht, aber ansonsten spüren wir schon auch, dass die Institution Kirche nicht mehr ganz so gefragt ist», sagt Spielmann. Deshalb sei es umso wichtiger, dass man aktiv auf die Menschen zugehe. «Die Seelsorge muss mehr zu den Menschen hin», findet die 66-Jährige, die vor ihrer Pensionierung als Religionslehrerin arbeitete.

 

Mehr als Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen

Seelsorge ist ein Begriff, den man rund um die Kirche oft hört: Die Kirche will für ihre Seelen sorgen. Und das tut sie auch heute noch: «Zu unseren Hauptaufgaben gehören neben dem Religionsunterricht für derzeit rund 500 Kinder auch die Seniorenpflege. Viele ältere Menschen suchen und finden Anschluss in der Kirche. Gerade bei den über 50-Jährigen wird unser Angebot rege genutzt. Auch die Vereine KAB, Kolping und der Frauen- und Mütterverein werden hauptsächlich von älteren Mitgliedern besucht», weiss Spielmann. Aber auch sonst finden regelmässig Veranstaltungen statt: Zweimal jährlich werden Tageslager für Kinder organisiert, einmal im Jahr findet zudem ein Familienweekend statt.

 

Die Jugendarbeit ist der Kirche ein Anliegen: Die Jungwacht-Blauring wie auch die Pfadi bieten den Kindern immer wieder ein wertvolles und spannendes Programm. Das alljährliche Sternsingen, bei dem Kinder auf die Not von Menschen in Drittweltländern aufmerksam machen und für sie durch ihren Einsatz Geld sammeln, findet seit vielen Jahren immer um das Dreikönigsfest statt: «Da wird einigen bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, dass es uns gut geht», erklärt Spielmann.

 

Wer lieber über Gott und die Welt reden möchte, kann einen entsprechenden, von der Kirche organisierten Apéro besuchen. Auch Meditationen in Stille und Achtsamkeit werden angeboten. Beliebt sind die regelmässig durchgeführten Abende der «Frauen-Insel»: Hier treffen sich Frauen mit und ohne Kinder, vorwiegend aus Dietikon und unabhängig ihrer Konfession. Kinder können alle zwei Wochen am kindgerechten Gottesdienst bis zum Erstkommunionalter, parallel zum Hauptgottesdienst, teilnehmen. Immer wieder finden Musik-Abende statt, die allen offenstehen. Die Kirche bietet mit ihrem umfassenden Angebot weit mehr als das Abhalten von Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen.

 

Die Religiosität der Eltern prägt die Kinder

Gerade Kinder seien grundsätzlich der Kirche gegenüber sehr offen. «Wie sich ihr Verhältnis zum Glauben und der Kirche entwickelt, ist meiner Erfahrung nach sehr von der Familie abhängig. Welchen Stellenwert hat der Glaube in der Familie und wie wird er vorgelebt?», sagt Spielmann.

 

Dass sich heute immer mehr Menschen von der Religion abwenden, sieht man nicht nur in den offiziellen Statistiken der Schweiz, sondern auch in Dietikon. Schweizweit war laut Zahlen aus dem Jahr 2017 gut ein Drittel der Bevölkerung konfessionslos. Die Zahl der Austritte der Kirche Dietikon übertraf im vergangenen Jahr mit 89 diejenige der Eintritte (2). Auch in den vorangegangenen Jahren war das Verhältnis der Aus- und Eintritte ähnlich. Viele würden ihren Austritt damit begründen, dass sie sich mit der Kirche nicht mehr identifizieren könnten, erklärt Spielmann.

 

Null-Toleranz beim Thema Missbrauch

Dies nicht zuletzt wegen der in den vergangenen Jahren vermehrt publik gewordenen Missbrauch-Skandale rund um die römisch-katholische Kirche. Deren Auswirkungen spürt man bis nach Dietikon. «Im Kanton Zürich herrscht beim Thema Missbrauch eine absolute Null-Toleranz. Wir setzen uns gemeinsam mit der Synode in Zürich dafür ein, dass Übergriffe sofort gemeldet werden.» Die Täter würden umgehend entlassen und keine andere Anstellung im Kanton Zürich mehr erhalten, erklärt Spielmann und fügt an: «Ich bin sehr froh, dass wir in Dietikon bislang keine Entlassungen vornehmen mussten.»

 

Hat die katholische Kirche überhaupt eine Zukunft, wenn jedes Jahr mehr Leute aus- statt eintreten? «Das ist eine gute Frage, die wir auch ab und zu in der Synode und in der Pfarrei diskutieren. Eine Antwort darauf habe ich nicht – es wird sich zeigen, ob die Kirche in zwanzig oder dreissig Jahren noch genauso aufgestellt ist wie heute.»

 

Gleiche Rechte für die Frauen

Spielmann hat durchaus eine Vision, für deren Umsetzung sie sich aktiv engagiert: «Frauen in der Kirche sollten dieselben Rechte wie Männer erhalten. Schliesslich besitzen Theologinnen die gleiche Ausbildung wie ihre männlichen Kollegen, dürfen aber nicht die gleichen Verantwortungen übernehmen.» Auch das Pflichtzölibat sei überholt: «Ursprünglich war der Sinn dahinter, dass sich ein Priester voll und ganz seiner Kirche widmen musste und somit keine Zeit für eine Familie hatte. Heute sieht das jedoch anders aus. Ich freue mich auf den Tag, wo Frauen und Männer auf gleicher Augenhöhe und in gemeinsamer Verantwortung die katholische Kirche von morgen gestalten dürfen.»

 

Eine offenere Kirche könnte also wieder vermehrt die Menschen anlocken. Die Kirchensteuer hat auf die Zahl der Mitglieder laut Spielmann keine Auswirkung: «Die Steuer ist im Verhältnis gering – viel sparen wird man mit einem Austritt nicht.» Am Glauben dürfte es auch nicht liegen: «In Gesprächen stelle ich immer wieder fest, dass viele Menschen an Gott glauben – aber von vielem enttäuscht sind, was in unserer Kirche passiert. Sie sehen darüber hinweg, wieviel Positives es trotz allem gibt. Andere wiederum glauben an eine «höhere Macht», nennen diese aber nicht Gott.»

 

Die Präsidentin ist überzeugt: Der Glauben gibt den Menschen auch im Jahr 2019 noch Halt. «Wenn es uns gut geht, haben wir oft das Gefühl, dass wir den Glauben nicht brauchen. Aber in schlimmen Zeiten suchen die Menschen den Halt der Kirche, das sieht man weltweit. Beispielsweise immer dann, wenn irgendwo ein Anschlag passiert, in der Familie eine unheilbare Krankheit auftritt oder ein Flugzeugabsturz viele Todes­opfer auf einmal fordert.» Und genau dieser Halt wird den Mitgliedern in Dietikon auch weiterhin geboten – in Gesprächen mit den Seelsorgerinnen, in der Stille, im Zuhören und Dasein wie auch im Gottesdienst.

 

Text: Linda von Euw, Fotos: Martin Gollmer, ZVG