Klangwelt in Dietikon

Andres Bosshard ist Entdecker und bereist die Landschaft der Alltagsklänge. Die Zukunft des Limmattals habe mit diesen Klängen zu tun, sagt der Künstler.

Was ist ein Klang?
Das Wort Klang beschreibt Töne, die wir gerne haben. Das Gegenteil wäre der Lärm, Töne, die uns stören. Wobei die Grenzen zwischen Klang und Lärm fliessend sind.

Lärm könnte folglich auch Klang sein.
Natürlich, wir sind es, die definieren, was Klang und was Lärm ist. Das legen wir als Gesellschaft fest. Dessen sollte man sich bewusst sein, wenn man über Lärm spricht.

Sie bezeichnen sich als Klang-Gärtner. Wie kommt das?
Um die Jahrtausendwende durfte ich mit einem Gärtner des berühmten Boboli-Gartens in Florenz zusammenarbeiten. Ich merkte rasch, dass er eine besondere Haltung gegenüber Pflanzen hatte: Morgens, nachmittags und abends schaute er nach ihnen, er hegte und pflegte sie. Genau das wollte ich anschliessend auch erreichen, Alltagsklänge hegen und pflegen. Das ist seither meine Maxime.

Was bedeuten Ihnen Stille und Ruhe?
Absolute Stille ist ein Schrecken, ich habe das zweimal erlebt. Ist die Stille aber nicht absolut, dann entdeckt man Geräusche, die man sonst überhört, und das begeistert mich. Ruhe anderseits hat mit Vertrauen zu tun. Befinde ich mich an einem Ruheort, kann ich davon ausgehen, dass kein störendes Geräusch auftaucht, kein Vorbeidonnern eines Lastwagens, kein Hochfahren eines Rasenmähers. Das Projekt «Ruheorte. Hörorte.» will solche Orte im Limmattal auf einer Karte zusammenhängend erfassen.

Wie setzt man das um?
Ich, Andres Bosshard, habe nicht die ultimative Lösung dafür. Wie gesagt, wir müssen diese Umsetzung gemeinsam gestalten. Ich benötige die Unterstützung anderer Menschen, denn alle können etwas dazu beitragen. Wir müssen zusammenarbeiten, daraus entsteht etwas Grossartiges. Das ist immer so.

Sie haben Klangspaziergänge in Dietikon durchgeführt. Was erlebt man bei einem solchen Spaziergang?
Etwas vorweg: Die Lärmemissionen einer Stadt sind nicht naturgegeben. Es ist der Mensch, der den Lärm verursacht, und wir sind alle daran beteiligt. Dieser Lärm ist Teil des Klangs von Dietikon. Hinzu kommen andere Geräusche, natürliche Geräusche, in Dietikon etwa das Rauschen der Reppisch. Während des Spaziergangs mache ich auch auf diesen Stadtklang aufmerksam.

Sie fordern also auf, genau hinzuhören.
Nicht nur. Es geht um viel Grundsätzlicheres: Viele Menschen sind notorische Weghörer. Ihr Gehör ist darin geübt, alles wegzufiltern, was nicht benötigt wird. Sie müssen deshalb das Hinhören wiederentdecken.

Wie schafft man das?
Wir stellen uns zum Beispiel auf den Dietiker Bahnhofplatz und achten bewusst auf die Stimmen der Passanten oder die Geräusche der abfahrenden Busse. Manchmal fordere ich auf, mit Pylonen am Ohr zu hören. Das hilft, den Fokus auf bestimmte Klänge zu richten und die Tiefe des Raums wahrzunehmen.

In diesem Zusammenhang sprechen Sie von «akustischem Guthaben».
Jeder Klang gleicht einem Aktivposten dieses Guthabens. Das ist die Idee dahinter. Das lässt sich auf das Limmattal übertragen. Wir sollten seine Klanglandschaft als «akustisches Guthaben» betrachten und es für unser Wohlergehen einsetzen. Wir nehmen ja nur ein Prozent davon wahr, 99 Prozent bleiben unentdeckt.

Haben Sie deshalb die Idee eines Klangwegs durch Dietikon lanciert?
Ja. Der Klangweg wäre eine Einladung, dieses Guthaben zu nutzen. Darüber hinaus würde man die Vielschichtigkeit des Dietiker Stadtklangs erleben. Anstatt ins Auto oder in den Bus zu steigen, würde man den Weg hinunterschlendern und horchen. Das Ziel ist, den Weg akustisch so zu planen, dass er zum Erlebnis wird. Ein solches Hinhören ist erholsam, man vergisst dabei den Alltag. Viele Klänge geben obendrein Rätsel auf, denen man nachgehen kann. Jeder Mensch findet darin eine persönliche Bedeutung. Das garantiere ich!

Sie führen seit mehr als zehn Jahren Klangspaziergänge durch. Wie sehen die Reaktionen der Teilnehmer aus?
Überraschung und Staunen sind immer dabei. Wie gesagt, wir sind Meister des Wegfilterns. Wir sind mit unseren Gedanken ganz woanders, aber nicht dort, wo wir uns gerade befinden. Beim Klangspaziergang zählt dagegen jeder Schritt; man macht einen Schritt, bleibt stehen und horcht. Das unterbricht die Hektik, die uns umtreibt. Wir gehen langsamer, denken nicht schon an das Ziel, sondern erleben das Jetzt. Es liegt an uns. Die Klänge sind da. Sie warten auf uns.

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie auf www.regionale2025.ch 

Text: Regionale 2025, Foto: Markus Bertschi