Mensch und Digitalisierung

Vortrag von Dr. Ludwig Hasler, Philosoph, Physiker und Publizist anlässlich des besonderen Lunches des Industrie- und Handelsvereins Dietikon.

 

Ob in Medizin, Wirtschaft oder Privatleben, es scheint nichts mehr zu gehen ohne digitale Hilfsmittel. Die Frage ist nicht: Setzt sich Digitalisierung überall durch? Sondern: Kommt sie wie ein Naturereignis über uns? Haben wir nur die Wahl, Gas zu geben oder zu bremsen? Oder können wir steuern und gestalten? Können wir Piloten des digitalen Wandels sein, nicht bloss Passagiere? Ludwig Hasler hat dazu eine klare Vista. Er empfiehlt, mit der digitalen Technik zu tanzen (früh schon, in der Schule), jedoch so, dass der Mensch dabei die Führung behält. Lasst Algorithmen machen, was sie besser können, rät er. Aber räumt nicht das Feld, sondern verstärkt, was nur der Mensch kann: Kreativität, Tagträumen, Zweifeln, Empathie, Kunst, Leidenschaft…

 

Dr. Ludwig Hasler meint: «Unschlagbar ist der Mensch nur als Mensch!» Schon allein diese Aussage gibt Anlass, sich intensiv mit der Digitalisierung zu beschäftigen, sich Gedanken zu machen. Schauen wir etwas zurück und überlegen wir uns, was eine bis zwei Generationen vor uns für Fortschritte erlebt haben. Von der Dampfmaschine bis zur Mondlandung sind grosse Veränderungen zu verzeichnen. In der heutigen Zeit hat sich die Technik, vor allem in der Digitalisierung, entwickelt. Die Welt wird digitaler! Sensoren, Chips sind überall zu finden. Wir sind durch und durch kontrolliert. Autos fahren selbst, die Schritte werden gezählt, unsere Gesundheit kann überwacht werden. Was bedeutet das? Mehr Kontrolle? Mehr Sicherheit? Mehr Bequemlichkeit?

 

Die Maschine und der Mensch. Die Maschine wird grad erwachsen. Sie organisiert, steuert, repariert sich selbst, sie lernt sogar aus Erfahrung. Ein Tausendsassa schon heute, löst Probleme im Nu, kann mit immensen Datenmengen alles Erdenkliche anfangen – schneller als jeder Mensch, fehlerfrei, unermüdlich. Jetzt aber mal die Frage: Was kann die Maschine mit sich anfangen? Hatte es der Roboter schon mal schwer mit sich? Oder lustig? Hat er ein Alter? Geschlecht? Schon mal abgestürzt? Verliebt? Ahnt er, dass er bald entsorgt wird? Von Schnarchen keine Ahnung. Für all das ist er zu perfekt, er hat, was er braucht, er begehrt nichts, was er nicht hat, ein praktisches Ding ohne Alpträume und Sehnsüchte. Probleme? Kennt er nicht. Vermutlich ist ihm alles göttlich egal.

 

Dagegen der Mensch. Steht dauernd neben den Schuhen, mal ist er verliebt, mal bekifft, mal deprimiert. Jedenfalls nie ganz dicht. Genau darum ist er ein Mensch – mit Träumen, Süchten, Sehnsüchten. Nur dass er ewig porös bleibt, das grosse Fragezeichen im Universum, befähigt ihn zu Aufschwüngen, Ausbrüchen, Abstürzen. Das macht ihn anfällig – und grossartig. Es gab mal eine Karikatur mit einem verzweifelten User am PC, die Sprechblase hiess: «Du Idiot, du kannst alles. Und sonst nichts.» Genial. Die Maschine kann, was sie kann. Perfekt. Wir sind nie perfekt. Weil wir immer sonst noch was können. Wir sind smart – und animalisch, der leibhafte Zwischenfall. Daraus kommt die Unruhe, das Unbehagen an der Gegenwart, der Traum von mehr Leben, die Sehnsucht nach Zukunft.

 

Also sollten wir unsere Zukunft – die kommunikative schon gar – nicht an die Maschine delegieren, so toll die unterwegs ist. Sie wird grad erwachsen, wie gesagt. Darum müssen wir ja nicht zwingend infantil werden, oder? Uns wie Kleinkinder steuern und medial abfüttern lassen?

 

Über Nutzen der Digitalisierung lohnt es sich zu philosophieren! Wir müssen uns entscheiden: Passen wir uns der Maschine an – oder profilieren wir uns als Alternative: zwiespältig, melancholisch, verrückt, leidenschaftlich, unruhig, kreativ?

 

Was machen wir mit der gewonnenen Zeit? Ludwig Hasler denkt und philosophiert mit folgender Aussage: Quer durch alle Branchen: Die Maschine übernimmt – und wir gewinnen die Chance, das Reich der spezifisch menschlichen Tätigkeiten auszuweiten. Das wäre ein evolutionärer Sprung. Nicht nur die Arbeitswelt würde auf den Kopf gestellt. Auch die Bildung müsste auf Feld eins. Fördert sie bisher eher das fehlerfreie Funktionieren, müsste künftig die Anti-Maschine Mensch ihr Ideal sein. Unter Einsteins Motto: Fantasie ist wichtiger als Wissen.

 

Der besondere Lunch wird durch folgende Institutionen organisiert:

Industrie- und Handelsverein Dietikon

Reformierte Kirchgemeinde Dietikon

Katholische Kirchgemeinde Dietikon

 

 

Text: Edi Cincera, Fotos: Anton Scheiwiller