Metzg und «Söigass» zu Dietikon

Die Kirchstrasse in Dietikon ist eine der ältesten Strassen der Stadt und wurde schon auf der Wettinger Karte von 1666 eingezeichnet. Heute wird sie gelegentlich noch «Söigass» genannt; ein Flurname, der im Kontext der Landwirtschaft und des mittelalterlichen Gewerbes steht: Hören wir, was uns die Geschichte der Metzg und der «Söigass» zu Dietikon erzählt.

 

Im Mittelalter hatte einzig der Besitzer einer Grundherrschaft – bzw. der städtische Rat auf Stadtgebiet – das Recht, gewisse Gewerbebetriebe wie Mühlen, Tavernen und Schmieden, aber auch Bäckereien oder Metzgereien errichten zu lassen und sie gegen Zins an einen geeigneten Berufsmann zu Lehen zu geben. Als Grundbesitzer des Dorfes Dietikon übte das Kloster Wettingen dieses sog. «Recht zur Errichtung von Ehehaften» von 1259 bis 1841 aus.

 

Der Bau der ersten Metzg zu Dietikon wurde im Januar 1688 von Abt Ulrich II. veranlasst: Sie stand auf dem Kronenplatz am Reppischufer, gleich hinter dem Gasthaus zur «Krone», und hatte fast direkten Anschluss an die Alte Zürcherstrasse. Der Standort war günstig, denn damit lag die neue Metzgerei mitten im damaligen Dorfzentrum von Dietikon. Noch im Gemeindeplan von 1860 wird das Gebäude als «Kronenmetzg» bezeichnet.

 

Über das Fleisch

Der Metzgerberuf war vielseitig und umfasste neben dem Schlachten, der Fleischverarbeitung und dem Verkauf auch den Viehhandel. Gemäss dem Lehenbrief von 1688 war es dem Kronenmetzger erlaubt, sein Fleisch frei von Haus zu Haus feil zu bieten, solange er sich innerhalb des Amtes Dietikon bewegte. Ansonsten musste er sich mit dem begnügen, was direkt an seinem Stand gekauft wurde. Damit keine kranken Tiere geschlachtet würden, musste er das Vieh vorher von zwei Inspektoren kontrollieren lassen.

 

Wie in fast jeder vorindustriellen Gesellschaft bevorzugten die Kunden früher Schweinefleisch gegenüber Rindfleisch, fettes gegenüber magerem. Schweine setzen auf bearbeitetem Land Speck an, wenn es mit saftigem Gras bedeckt und mit mancherlei Obstbäumen bepflanzt ist, sodass es in den verschiedenen Jahreszeiten Äpfel, Birnen, Pflaumen o.ä. bietet. Am besten geeignet sind Wälder mit Beständen von Eichen, Buchen, Haselnussstauden usw., wo man die Schweine wann immer möglich zum Weiden hintrieb. Dort konnten die Tiere reichlich reife, nahrhafte Nüsse vom Boden fressen.

 

Eindrücklicher Schweinetrieb

In dem kleinen Bauerndorf Dietikon wussten die Viehhalter natürlich, wie Schweine am besten gedeihen. So war es einst üblich, die Schweine durch die heutige Kirchstrasse nach ausserhalb des Dorfes und dann Richtung Spreitenbach auf eine offene, grosse Weide, den sog. «Nunnengarten», zu treiben (später Flugplatz). Und weil eben früher die Kirchstrasse als Durchgang für den Schweinetrieb benutzt wurde – ein solcher Durchmarsch dürfte recht eindrücklich ausgesehen haben, gab es doch laut der Dietiker Viehzählung von 1827 immerhin 105 Schweine im Dorf –, wird sie noch heute gelegentlich «Söigass» genannt.

 

Die Bezeichnung «Söi-» bzw. «Säugass» wurde noch auf der Wild-Karte des Kantons Zürich von ca. 1850 offiziell als Strassenname gebraucht. Doch nur wenige Jahre später, bei der Anlegung des Flurprotokolls von Dietikon um 1860, wurde dieser Name abgeschafft und durch die modernere Bezeichnung «Kirchstrasse» ersetzt. Trotzdem ist seither die alte «Söigass» bis heute nicht ganz aus dem kollektiven Gedächtnis der Einwohnerschaft Dietikons verschwunden – wohl u.a., weil später sich dort in der näheren Umgebung mehrere kleine Metzgereien ansiedelten (Graf, «Schlachthof», Wiesmann (später Brechbühl)).

 

Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass man sich noch im 20. Jh. oft lustig über die alte «Söigass» machte, so Karl Heid, und man sich erzählte: Der Name rühre daher, dass die Gasse stets in einem «saumässigen» Zustand sei, unordentlich und schmutzig. Es ist daher gut verständlich, dass die Anwohner gar keine Freude mehr an dem Übernamen «Söigass» hatten. Deshalb gab es im hiesigen Restaurant «Weinstube» (bis 1968, später «Treff») lange Zeit einen Brauch: Gäste, denen das unerwünschte Wort gut hörbar entschlüpfte, wurden sofort bestraft, indem sie eine gesamte Trinkrunde zahlen mussten. Das Bussgeld entsprach den Kosten von einem Liter Wein, den die Wirtin allen Anwesenden ausschenkte.

 

Text: Sven Wahrenberger, Fotos: Ortsmuseum Dietikon