Ein Stück Ortsgeschichte

Vor 30 Jahren hiess der Kirchplatz im heutigen Stadtzentrum Dietikon noch Löwenplatz. Wenn wiederum vom Löwenplatz die Rede ist, so wird man an das altehrwürdige Gasthaus zum «Löwen» erinnert, das einst hier gestanden hat. Viel hat der «Löwen» erlebt und gesehen: Er erzählt ein wegweisendes Stück Ortsgeschichte von Dietikon.

 

Das Gasthaus «Löwen» wurde wohl um 1809 als zweite Taverne in Dietikon erbaut, weil die «Krone» dem steigenden Fuhrwerkverkehr nicht mehr gewachsen war. An der Ecke Zürcher-/Bremgartnerstrasse war der «Löwen» ausgezeichnet gelegen, um Reisenden auf dem Postkutschenkurs Zürich–Baden und Dietikon–Bremgarten–Sins nächtliche Unterkunft und feste Mahlzeit anzubieten. Geführt wurde der «Löwen» von Jakob Naef-Hegnauer (1850–1933).

Naef war neben seiner Beschäftigung als «Löwen»-Wirt gleichzeitig auch Fuhrhalter und widmete sich dem Pferde- und Schweinehandel. Sein Bauernhof stand auf der gegenüberliegenden Strassenseite, also nur wenige Meter schräg vor der Simultankirche (das Gehöft brannte am 1. Mai 1929 nieder; heute Schuhhaus Tiefenbacher). Darüber beschwerten sich die Leute aber oft: Wenn man sonntags die Messe in der Kirche besuchen will, weht einem beim Vorbeigehen immer ein strenger Geruch aus Naefs Schweinestall entgegen! 1911 jedoch verkaufte Naef sowohl das Gasthaus als auch den Bauernhof und zügelte in den Lindenbühl.

 

Der neue «Löwen»

Das Bauerndorf Dietikon nahm schon zu Beginn des 20. Jh. städtische Züge an, nicht zuletzt durch die Gründung der «Limmattal-Strassenbahn» (1900) und der «Bremgarten-Dietikon-Bahn» (1902). Infolge dessen wurde der Löwenplatz zum Kreuzungspunkt der beiden elektrischen Bahnen und somit zu einer wichtigen Haltestelle im Dorf. Hatte sich die Ortsmitte einst am Kronenplatz befunden, so verschob sich das Dorfzentrum durch den Ausbau der Infrastruktur immer mehr zum Löwenplatz. 

Der alte «Löwen» hat leider nur etwas mehr als 100 Jahre Bestand gehabt. Er brannte am 12. Mai 1912 aufgrund eines Kamindefektes zur Hälfte nieder. Zwar wurde in den noch intakten Räumlichkeiten der Ruine im ersten Stock weiter gewirtet, doch befand sich das Haus in einem desolaten Zustand. Zu einem Neubau kam es lange nicht. Während der 1910-er- und 1920-er-Jahre fand auf dem Brandplatz des «Löwen» der Gemüsemarkt statt.

Die Überreste der Taverne wurden erst viel später beseitigt, als die Gemeinde endlich um 1931 an dieser Stelle ein grosses, halbrundes Wohn- und Geschäftshaus erbauen liess. Ein neues Hotel «Löwen» wurde eingerichtet, wo man damals für Fr. 6.50 ein Zimmer zum Übernachten buchen konnte. Mittagessen gab es für Fr. 3.50. Als Komfort hielt zudem seit der Liquidation der «Limmattal-Stras senbahn» um 1930 nun ein Autobus unmittelbar vor dem Gasthaus, mit welchem man direkt nach Zürich gelangen konnte: Mit diesen Vorzügen wirbt der neue «Löwen» in einem kleinen Reiseführer von 1933.

 

Wandlung des Löwenplatzes

Der «Löwen» wurde aber nur wenige Jahre später endgültig geschlossen. Bereits am 3. Juli 1950 eröffnete die Migros in den ehemaligen Räumen des Gasthauses den ersten Selbstbedienungsladen in Dietikon (heute «Hickenbick»). Seither hat auch der Löwenplatz bis heute sein Aussehen stark verändert: Ein Wahrzeichen des urtümlichen Dietikon im Stadtzentrum war z.B. die alte Liegenschaft mit der Eisenwarenhandlung der Geschwister Maag gewesen, wo sich im oberen Stockwerk zwischen 1710 und 1925 das Pfarrstübli der reformierten Kirchgemeinde befunden hatte. Das Haus wurde 1968 abgebrochen (heute City Haus / ZKB).

Dieses Ereignis wiederum läutete den Beginn der gros sen Zentrumsüberbauung in Dietikon ein, die wohl ihren vorläufigen End- und Höhepunkt mit der Einweihung des «Löwenzentrums» am 29. Oktober 1987 erreichte, des ersten Einkaufszentrums in unserer Stadt. Es ist zu erahnen, woher sich der Name «Löwenzentrum» ableitet: Zwar gibt es seit über 60 Jahren kein Gasthaus «Löwen» mehr in Dietikon. Und auch nach dem Löwenplatz sucht man heute vergeblich, Der «Löwen» um 1905. Fuhrhalter Jakob Naef ist zur Abfahrt bereit. Der neue Gasthof «Löwen» um 1931. Der Löwenplatz um 1964: Noch ist die Zentralstrasse nicht durchgehend, und noch steht das altehrwürdige Maag-Haus.
seit er per 1. September 1988 in Kirchplatz umbenannt wurde. Aber die Namenstradition des «Löwen» wird tatsächlich bis heute vom «Löwenzentrum» weitergetragen, auch wenn die ursprüngliche Herkunft nicht mehr so bekannt ist. Auch das ist ein Stück Ortsgeschichte von Dietikon…

 

 

Text: Sven Wahrenberger, Fotos: Ortsmuseum Dietikon