Ein richtiges Multikulti-Quartier

Ausländer gab es schon immer im Gjuch, heute fast noch mehr als früher. Die Bewohner schätzen das viele Grün im Quartier und die günstigen, wenn auch schon etwas angejahrten Wohnungen.

Das Quartier Gjuch liegt im westlichen Teil Dietikons und umfasst, eng gesehen, das Dreieck Gjuchstrasse, Bleicherstrasse, Baumgartenstrasse. Ist man grosszügiger, bildet das Dreieck Überlandstrasse, Badenerstrasse, Oetwilerstrasse das Quartier. Wie dem auch sei: Das Gjuch ist ein kleines Quartier. Gemäss Neujahrsblatt 1949 hiess das Gebiet schon 1655 «kleines Gjuch» und war nur eine Juchart gross (27 bis 36 Aren).

In diesem Quartier wohnt seit 25 Jahren Christiane Ilg-Lutz, vielbeschäftigte Familien-, Berufs- und Politfrau. In Dietikon ist sie vor allem als Präsidentin der EVP bekannt, für die sie auch im Gemeinderat sitzt. Sie charakterisiert das Gjuch im Gespräch mit dem «Dietiker» als «multikulturelles Wohnquartier». Anfangs kamen die Ausländer vor allem aus Süditalien, inzwischen sei aber eine Vielzahl anderer Nationalitäten dazugekommen. Auf den Strassen höre man unter anderem Italienisch, Portugiesisch, Französisch, Englisch, Hochdeutsch und Balkan-Sprachen. Aber auch Schweizer wohnten im Quartier.

Viele hätten die Altersgrenze von 60 schon überschritten und würden schon lange im Quartier leben. Inzwischen seien aber auch Junge unter 35 ins Gjuch gezogen, weiss Ilg-Lutz. Es gebe sowohl Familien wie auch Alleinstehende.

Wenig Infrastruktur
Die meisten Häuser im Quartier, fast ausschliesslich Wohnblocks, entstanden gemäss Ilg-Lutz in den 50er- und 60er-Jahren. Einige wurden in den letzten 20 Jahren (sanft) renoviert. Neue Häuser gebe es kaum, die Bautätigkeit sei praktisch gleich null. Trotzdem sei das Gjuch beliebt. Es gebe viele günstige, wenn auch kleine Wohnungen. Zur Bausubstanz im Gjuch gehört als Kuriosum im Hinterhof der sogenannten Bähnlersiedlung gut versteckt zwischen Bäumen auch noch ein Bunker aus dem 2. Weltkrieg.

Läden gibt es mit Ausnahme eines Coiffeurgeschäfts im Gjuch keine mehr. Einkaufen würden die Quartierbewohner im Zentrum Dietikons oder in Spreitenbach im Shopping Center, sagt Ilg-Lutz. Sie «geht ins Dorf», wenn sie im Zentrum Einkäufe macht. Schweizer würden oft auch auf den Frischmärkten im Zentrum einkaufen, Ausländer frequentierten dagegen eher den Maxim Market an der Badenerstrasse.

An der Gjuchstrasse ist noch das Tonstudio McGill beheimatet. Hier machten unter anderen Schlagersängerin Paola, der Countrymusiker John Brack oder die Singer/Songwriterin Betty Legler Aufnahmen.

Im Quartier gibt es zwei Kindergärten. Die vielen fremdsprachigen Kinder seien «eine Herausforderung» für die Betreuerinnen, weiss Ilg-Lutz. Für die Lozziwiese besteht ein Projekt eines neuen Doppelkindergartens. Die Primarschule besuchen die Kinder im Fondli. Die Oberstufe befindet sich Schulhaus Zentral.

Beliebte Lozziwiese
Inoffizieller Treffpunkt im Quartier ist die Lozziwiese. Ihr Name geht auf die Spielplastik von Ivan «Lozzi» Pestalozzi zurück, welche von der Firma Pestalozzi 1974 den Dietiker Kindern gestiftet wurde. Auf der Wiese, die gut besucht sei, gibt es aber auch noch andere Spielgeräte. Ein zweiter, kleinerer Spielplatz im Gjuch befindet sich in der Bähnlersiedlung.

Durch das Quartier fährt der Bus 303. Mit ihm gelangt man in die eine Richtung zum Bahnhof im Zentrum, in die andere Richtung nach Spreitenbach. Morgens und abends besteht ein 7 ½-Minuten-Takt, zu den übrigen Tageszeiten fährt der Bus alle 15 Minuten. «Das ist viel wert», sagt Ilg-Lutz.

Der private Autoverkehr im Gjuch hält sich in Grenzen – ausser wenn etwa der Gubristtunnel geschlossen ist. Dann quält sich Schleichverkehr durch das Quartier. Im Quartier gilt überall Tempo 30. Tagsüber gebe es genug Parkplätze, hat Ilg-Lutz beobachtet. Abends, wenn die Bewohner von der Arbeit zurückkehren, seien sie aber knapp.

Im Gjuch sei es mehr oder weniger ruhig, meint Ilg-Lutz. Nachts sei aber bei entsprechenden Windverhältnissen aber manchmal der nahegelegene Rangierbahnhof Limmattal zu hören. Oft quietsche und chlöpfe es dann.

Man sagt sich «Grüezi»
Auf die Stärken und Vorteile des Quartiers angesprochen, sagt Ilg-Lutz, man kenne sich hier und sage sich auf der Strasse «Grüezi». Auch würden sich die Bewohner oft gegenseitig helfen. Ilg-Lutz schätzt ebenfalls, dass das Gjuch «sehr grün» ist. Schwächen und Nachteile kann sie kaum nennen.

Einen Quartierverein gibt es im Gjuch trotz gutem Einvernehmen der Bewohner keinen. Die Initiative dazu müsse von anderen Bewohnern kommen, meint Ilg-Lutz. «Ich selber kann das nicht machen, dafür fehlen mir Zeit und Ressourcen.» Die Leute wollten sich heute nicht mehr in Vereinen engagieren, sagt sie. «Sie wollen mehrheitlich konsumieren.» Den Vorschlag des Stadtrats, die Quartierstrukturen zu stärken, begrüsst sie zwar, erklärt aber, so etwas müsse von unten kommen, nicht von oben. Zudem befürchtet sie, dass in einem Quartierverein nur die lautesten Stimmen Gehör finden würden.

Welche Wünsche hat Ilg-Lutz für das Quartier? «Dass es so grün bleibt, wie es ist», sagt sie. Auch hofft sie, dass die Anonymität nicht überhandnimmt. Zudem wünscht sie sich ein Kafi, in dem sich die Bewohner des Gjuch ungezwungen treffen könnten. «Das würde die Gemeinschaft fördern.»

 

Text und Fotos: Martin Gollmer